Donnerstag, 7. Februar 2013

Wissenschaft, die Ansehen schafft

Gemessen an der Leseleistung und dem guten Zahlen- und Begriffsgedächtnis vieler junger Menschen verzage ich manches Mal und frage mich, ob ich nicht besser Soziologie oder Psychologie hätte studieren sollen. Denn dort glaube ich eine ziemliche Begabung zu haben, was Logik, Auffassungsgabe und Analytik angeht.
Ich glaube, ich wäre in Soziologie genauso frustriert gewesen. Wegen der, wie ich es manchmal empfinde, Borniertheit und Beschränktheit der Wissenschaft. In den Vorlesungen zu Soziologie und Psychologie langweile ich mich zu Tode und ärgere mich teils über das oberflächliche Niveau. Würde ich dann in der Klausur zur quantitativen Datenerhebung Aspekte nennen müssen, die die Aussagekräftigkeit von Umfragemethoden relativieren, fallen mir einige mehr ein, die nicht in der Vorlesung genannt wurden. Diese würden dann aber vermutlich als falsch gewertet, weil sie nicht in der Vorlesung genannt wurden, obwohl sie aber in der Praxis zutreffen. Wenn ich mich auf irgendeinen Namen aus der Forschung berufen könnte, auf ein Buch von irgendeinem mit akademischen Titel, dann wäre meine Antwort eher akzeptiert. Von mir, einem Studenten, nicht. Es zählen Statistiken, Titel und Schall und Rauch. So ein Freidenker wie ich passt vielleicht besser mit Grashalm im Mund auf eine Wiese, unter einem Apfelbaum liegend und mit Blick gen Himmel am Träumen. Aus wirtschaftlicher und beruflicher Sicht bin - noch! - ich ein Nichtsnutz. Da sind, wie man auf Berufsmessen sieht, nur technische, juristische und naturwissenschaftliche Qualitäten gefragt.



Zitat von Süddeutsche Zeitung - über Schavans Doktorarbeit:
"Das Argument des Doktorvaters, die Arbeit habe dem damaligen Stand der akademischen Arbeit entsprochen, hilft da nicht weiter: Denn zum einen verschwanden die kleinen und oft nur lose gedachten Promotionen, mit denen die deutschen Universitäten über Jahrhunderte hatten leben können, in den sechziger und frühen siebziger Jahren, als sich die Geisteswissenschaften in Methoden teilten und mit dem Mittel formaler Korrektheit den Naturwissenschaften nacheiferten."

Aus solchen Textblöcken ergießt sich meine Kritik ein wenig konkreter. Wie will man mit naturwissenschaftlichen Methoden - traditionell bestehend aus: Beobachtung, Fragestellung, Hypothese, Experiment, Schlussfolgerung, Verwerfung/Annahme der Hypothese - Geisteswissenschaften betreiben? Ist das Nacheifern anderer Disziplinen notwendig, um sich den Titel einer Wissenschaft in der Gesellschaft verdient zu machen? Ist die Gesellschaft in ihrer Wahrnehmung als Außenstehende und Naturwissenschaftsgläubige (Homo Faber!) mit daran schuld, dass alles mathematisierbar und physikalisch-klingend sein muss, um als wissenschaftlich zu gelten?


Etwas ausgeholt:
Viele geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Bereiche sind mittlerweile in der Tat durchzogen mit Termini aus der Physik und Mathematik, seit sich die Geisteswissenschaften in der technisierten Welt hinsichtlich ihrer Bedeutung auf einem absteigenden Ast befinden. Man könnte hier viele konkrete Beispiele aufzählen. Ich las in diesem Zusammenhang mal einen Text darüber, wie sehr die heutige Gesellschaft für sämtliche Probleme die Lösung in der Technik, vornehmlich den Ingenieurwissenschaften, sucht.
Deshalb hat auch ein Philosophieprofessor bei den Umweltingenieuren einen Bogen dahin geschlagen, dass Umweltbelange nicht einzig ein technisch lösbares Problem seien. Gerade in Bezug auf Wachstumsprobleme, Lebensstilen und Politik müsse auch eine philosophisch orientierte Lösung eine Rolle spielen. Doch die meisten jungen Männer der Ingenieursbranche waren von Philosophie und anderen Geisteswissenschaften nicht sehr begeistert, schliefen in solchen Vorlesungen ein und machten sich über die Belanglosigkeit dieser Disziplinen lustig (obwohl sie von gesellschaftlichen Strömungen indirekt über die Politik auch betroffen sein werden - Beispiel erneuerbares Energiegesetz).
 


Wie will man Geisteswissenschaften naturwissenschaftlich betreiben? Der freidenkende Geist, der sich aller Denkmethoden und Sichtweisen mit allen Mitteln bedienen kann, um neue Fragestellungen auf den Tisch zu werfen oder Lösungen im Denken selbst zu finden, eingeengt auf schematische Vorgehensweisen und vorgelegte Schablonen - das passt einfach nicht zusammen! Mit den (natur)wissenschaftlichen Ansprüchen werden Geisteswissenschaften, die eigentlich vom Freidenkertum leben, nach bestimmten Maßstäben zur realitätsfremden, monokausalen Fachidiotie in gewisser Weise eingeschränkt.
Will man Schavans Thesen in ihrer Doktorarbeit "Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" etwa mit der Bruteforce-Methode, direktem Beweis oder vollständigen Induktion beweisen? Es bleiben zum Beweis in der Nicht-Naturwissenschaft oftmals einzig Statistiken und Umfragen. Diese aber haben eine so hohe Varianz, so dass sie, ebenso wie die Funktionsgraphen der heute stark neoliberalen Betriebswirtschaftslehre, viel zu hohe Korrelationseffizienten aufweisen, um als ansatzweise naturwissenschaftlich-reproduzierbar zu gelten, und deshalb an der komplexen Realität zerbrechen. Das muss aber kein Grund sein, denen die Wissenschaftlichkeit ganz abzusprechen. Erst recht nicht, um sie als bedeutungslos dastehen zu lassen.
 

Mir fehlt da ein wenig das Verständnis, weil ich die Entwicklungen gesellschaftlich multilateral beeinflusst und einem gewissen eitlen Tand folgen sehe. Besonders Pädagogik und andere Gesellschaftswissenschaften sind so "weich", dass es bei Hypothesen und Modellen bleibt resp. bleiben kann, welche sogar parallel zu gegensätzlichen Modellen bestehen können - obwohl dies den strengen, objektivierbaren und reproduzierbaren Anforderungen der Naturwissenschaft widerspricht. Vieles in der Welt bleibt nun mal relativierbar, hypothetisch, subjektiv oder eines von vielen und teils gegenläufigen Modellen zur Erklärung der Welt aus Standpunkten und eigenen Erklärungsmethoden.  


Manchmal möchte ich am liebsten auf den Tisch klettern, die Seiten solcher normierten Doktorarbeiten rausreissen und laut rufen: "Oh captain, my captain! Freiheit des Geistes für die Wissenschaft!